

Auszüge aus den göttlichen Reden / August 2022


Der Weg zum Weltfrieden
Sanatana dharma – Artikel 16 von Sadguru Sri Madhusudan Sai
Das Konzept einer idealen Welt, in der absoluter Frieden und Harmonie herrschen, entzieht sich allen gleichermaßen ‒ den einfachen Menschen und der Elite, den Staatsmännern und dem einfachen Volk, den Regierenden und den Regierten. Dennoch sprechen die meisten Kulturen in ihren grundlegendsten Werten und Gebeten von Harmonie und Frieden.
Jedes indische Gebet endet mit drei Wiederholungen von “śānti”, was Frieden bedeutet.
Ähnlich verhält es sich mit “Shalom” in der jüdischen Tradition oder “Friede sei mit dir” im Christentum.
Die Idee von Frieden als grundlegendes Gebet und elementarem Segen scheint in all diesen Religionen immer betont zu werden. Doch trotz solcher Gebete ist der Weltfrieden ein ferner Traum geblieben. Vor allem in den letzten zwei Jahrtausenden haben Konflikte, Unruhen, Invasionen und Terrorismus den Frieden in Stücke gerissen. Warum ist aber der Frieden trotz des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts nicht erreicht worden? Das muss uns nachdenklich machen und uns dazu bringen, die Ursache dafür näher zu beleuchten ‒ trotz aller Verhandlungen und Verträge.
Sanātana dharma packt den wahren Grund für den Mangel an Frieden in der Welt an der Wurzel, indem es das gesamte Konzept auf den Kopf stellt. Mit anderen Worten: Indem Sanātana dharma jedes Individuum dazu bringt, zuerst im Inneren, statt im Äußeren nach Frieden zu suchen. Wir sollten den Weg des sanātana dharma zur Erreichung des Weltfriedens verstehen.
Frieden ist der absolute Zustand von Ruhe und Harmonie. Wir wissen, dass wir als Menschen nicht einer, sondern drei sind:
- Derjenige, für den wir uns halten ‒ der Körper.
- Derjenige, für den uns andere halten ‒ der Geist und
- derjenige, der wir wirklich sind ‒ die Seele oder jīvātman.
Dieser jīvātman, die Seele oder der Geist, ist nur die Spiegelung desselben paramātman, so wie die Sonne, die tausendfach erscheint, wenn sie sich in verschiedenen Wassertöpfchen spiegelt, obwohl sie nur die eine Sonne ist.
Deshalb muss der Frieden auf allen drei Ebenen von Körper, Geist und Seele betrachtet werden. Genau das ist der Grund, warum wir in den śānti‒Mantras oder überhaupt in jedem Gebet des sanātana dharma dreimal den Gesang des Friedens hören ‒ “śāntiḥ śāntiḥ śāntiḥ” ‒ in dem Bemühen, den Frieden auf allen drei Ebenen unserer Existenz anzurufen.
Körperlich gesund zu sein, ist die erste Stufe des Friedens. Selbst Hunger kann den Frieden stören, ganz zu schweigen von schwerer Krankheit. Deshalb ist eine gute Gesundheit eine Voraussetzung für den Frieden. Vieles davon hat mit Disziplin bei den Gewohnheiten zu tun, die dem Körper schaden. Sei es die Art der Nahrung, die wir zu uns nehmen, oder den Handlungen, die wir durchführen.
Die zweite Ebene des Friedens betrifft den Geist, der ein Bündel von Gedanken und Gefühlen aller Art ist. Der Frieden des Geistes ist also gewährleistet, wenn wir positive Gedanken haben, die aus einer positiven Umgebung und positiven Beziehungen entstehen.
Daher ist die Idee der satsaṅga oder der „Gesellschaft der Edlen“ im sanātana dharma sehr wichtig. Denn nur sie kann uns helfen, die Qualität unserer Gedanken und Emotionen und damit die daraus resultierende Positivität und den Frieden zu bewahren.
Der letzte und zugleich wichtigste Aspekt des Friedens ist das Erleben von Harmonie auf der innersten Ebene des ātman. Das mag paradox klingen, denn wie kann der ātman, der ein Spiegelbild des paramātman ist, nicht in Frieden sein?
Der Grund ist, dass der ātman zwar immer in Frieden ist, aber unser Zugang zu diesem Frieden gestört ist, wenn unser Körper und unser Geist nicht in Harmonie sind.
Die Idee der inneren Harmonie wird im sanātana dharma trikarṇa śuddhi genannt, was soviel wie Übereinstimmung von Körper, Geist und Seele bedeutet. Mit anderen Worten, die Harmonie von Gedanken, Worten und Taten. Wenn unsere Gedanken auf der Vorstellung unseres wahren Selbst als Göttlichkeit beruhen, werden die daraus folgenden Gedanken, Worte und Taten (manasā, vācā, kārmaṇa) ebenfalls göttlich sein. Meistens basieren die Gedanken jedoch auf der unwissenden Vorstellung, dass wir der Körper- und Verstandeskomplex und somit die Disharmonie sind.
Die Grundlage, um den Weltfrieden zu erreichen, ist der Frieden des Einzelnen. Denn der Einzelne ist die Grundlage der Familie, der Gesellschaft, der Nation und der Welt als Ganzes.
Wenn der Einzelne in innerer Harmonie lebt, indem er sein ganzes Leben auf die Idee und die Erfahrung der einen Wahrheit gründet, dass alle göttlich sind, dann lernen wir zu erkennen, dass alles und jeder göttlich ist und es daher keinen Grund für Konflikte und Streit gibt.
Die Upaniṣaden verkünden:
ahaṁ brahmāsmi – ‘Ich bin brahman’ (bṛhadāraṇyakopaniṣad 1.4.10)
tat tvam asi – ‘Du bist Das’ (chāndogyopaniṣad 6.8.7)
prajñānam brahma – ‘Bewusstsein ist brahman’ (aitareyopaniṣad 3.3)
ayam ātmā brahma – ‘Dieses Selbst (ātman) ist brahman’ (māṇḍūkyopaniṣad 1.2)
und
sarvaṁ khalvidaṁ brahma ‘All dies ist brahman’ (chāndogyopaniṣad 3.14.1)
Derjenige, der diese Wahrheit der Einheit in sich selbst erfährt, der allein ist qualifiziert, dauerhaften und ewigen Frieden (teṣāṁ śāntiḥ śāśvatī netareṣām) zu erlangen, verkündet die kaṭhopaniṣad.
नित्योऽनित्यानां चेतनश्चेतनानामेको बहूनां यो विदधाति कामान् ।
तमात्मस्थं येऽनुपश्यन्ति धीरास्तेषां शान्तिः शाश्वती नेतरेषाम् ॥
nityo’nityānāṁ cetanaścetanānāmeko bahūnāṁ yo vidadhāti kāmān ।
tamātmasthaṁ ye’nupaśyanti dhīrāsteṣāṁ śāntiḥ śāśvatī netareṣām ॥
(कठोपनिषत् kaṭhopaniṣad 2.2.13)
Es gibt einen, der die ewige Wirklichkeit unter den nicht-ewigen Objekten ist. Die eine wahrhaft bewusste Existenz unter den bewussten Objekten, die, obwohl nicht-dual, die Wünsche vieler erfüllt. Ewiger Frieden gehört den Weisen, die Ihn in sich selbst wahrnehmen.
Sobald wir diese Wahrheit kennen, verstehen und würdigen wir, dass wir wie die verschiedenen Glieder desselben Körpers sind. Deshalb schneiden wir uns nicht in den Finger, wenn das Auge versehentlich vom Finger verletzt wird, oder brechen uns nicht die Zähne heraus, wenn die Zunge versehentlich von den Zähnen abgebissen wird, sondern wir zeigen Mitgefühl und Vergebung, da wir die Zähne und die Zunge, den Finger und das Auge als unsere betrachten.
Erweitert man nun diesen Gedanken und wendet ihn auf Familienmitglieder, Nachbarn, die Gemeinschaft und sogar auf ein Land an, so wird deutlich, dass alle zu uns gehören und jeder Schaden, der jemandem zugefügt wird, in gewisser Weise auch ein Schaden für uns selbst ist. Mit einer solchen Sichtweise werden wir in der Lage sein, nicht mit Gewalt zu reagieren und stattdessen den Weg der Toleranz und Akzeptanz einzuschlagen.
Die meisten politischen Bestrebungen beruhen auf der Idee, dass wir auf Gewalt verzichten müssen, da Auge um Auge die ganze Welt erblinden lässt. Dies basiert aber eher auf der Vorstellung, dass ein zugefügter Schaden gewalttätige Reaktionen der so genannten Anderen hervorruft.
Aber hier im sanātana dharma ist die Idee, dass es keine Anderen gibt, denen man schaden oder von denen man geschädigt werden kann. Auf der tiefsten Ebene der spirituellen Existenz ist alles Eins, und daher besteht der einzige Weg darin, in Harmonie und Akzeptanz zu koexistieren. Dies ist die tiefste spirituelle Lehre des sanātana dharma, um inneren und äußeren Frieden zu erlangen.
Aber selbst wenn man nicht in der Lage ist, diesen Zustand des Einsseins zu erfahren und daher nicht in der Lage ist, diesem Weg zu folgen, sprechen unsere heiligen Texte davon, alle als Mitglieder der gleichen Familie zu betrachten.
Das Mantra aus der mahānārāyaṇopaniṣad – yatra viśvam bhavati eka nīdam – “wo die ganze Welt ein Nest oder eine Zuflucht ist”, fordert uns dazu auf, die ganze Welt als ein einziges Zuhause und eine riesige Familie zu betrachten, die jedes Lebewesen einschließt ‒ vom kleinsten Insekt bis zum hochentwickelten Menschen.
So sollte der Wunsch nach dem Wohlergehen aller unseren Planeten, unsere Natur, alle Länder und die gesamte Menschheit einschließen. Die Idee von vasudhaiva kuṭumbakam, “die ganze Welt ist eine Familie”, findet sich nur im indischen Ethos und nirgendwo sonst.
Unsere Gebete wie das śānti mantra des yajurveda, das davon spricht, einander keine Ursache für Konflikt oder Leid zu sein – ‘mā vidviṣāvahai’, oder die Gebete für das Wohlergehen aller in der subhāṣita – sarve bhavantu sukhinaḥ, oder auch das vedische Mantra “lokāḥ samastāḥ sukhino bhavantu” ‒ sie alle sagen uns, dass wir ständig für den Frieden und das Glück aller beten und arbeiten sollen, mit einer weitsichtigen Einstellung, die die engen egoistischen Vorstellungen von “ich” und “mein” vermeidet.
Uns selbst und alles, was um uns herum existiert, als göttlich wahrzunehmen, kann den Weltfrieden wiederherstellen und aufrechterhalten, und nichts anderes ist die sicher Gewissheit des sanātana dharma – nānyaḥ panthā ayanāya vidyate – es gibt keinen anderen Weg zum Höchsten Ziel.
oṃ śāntiḥ śāntiḥ śāntiḥ ॥
Sanatana dharma – Artikel 16 von Sadguru Sri Madhusudan Sai

